Expertin für Physik und Menschlichkeit
Arbeiten, wo andere Urlaub machen
Viele Nordhessen wissen gar nicht, wie schön ihre Region ist – die Niederländer dagegen schätzen besonders das Waldecker Land. Auch Sanne Blinde, die in Rotterdam Medizin studierte, suchte am Edersee immer wieder die Ruhe und Entspannung in ihrem eigenen kleinen Fachwerkhäuschen. Als die gelernte MTRA mit ihrer Facharztausbildung für Strahlentherapie fertig war, gestaltete sich die Suche nach einer Arbeitsstelle in der von ihr favorisierten Fachrichtung Strahlentherapie in den Niederlanden schwierig. Da fielen ihr das Fachwerkhäuschen am Edersee und die Jobchancen in Deutschland ein. Sie erhielt ein Stipendium für die Universität Marburg und arbeitete am dortigen Marburger Ionenstrahl Therapiezentrum, wo sie auch ihre Fachkunde für Partikeltherapie erworben hat. Diese Vollzeit Aufgabe wollte sie zwar nicht für immer ausüben, aber Wegziehen kam auch nicht infrage: „Die Landschaft, die wilde Natur, die Ruhe und Schönheit im Wald und entlang der Felder, wo ich mit meiner Tochter in der Freizeit oft reite, gefallen mir so sehr, dass ich hier in Nordhessen bleiben wollte“, sagt Sanne Blinde.
Patientenorientiert und fachlich komplex
Sie fand eine Teilzeitstelle im Fachbereich Strahlentherapie des MVZ Gesundheit Nordhessen und ist hier seit 2019 im Team. Für den Job pendelt sie von einem Ortsteil Waldecks, wo sie inzwischen mit ihren Kindern wohnt, ans Klinikum Kassel. Als Ärztin führt sie viele Gespräche mit Menschen, die an Krebs erkrankt sind, nimmt an Tumorkonferenzen teil und führt komplexe Berechnungen durch, um die Strahlentherapie jeweils passgenau zu planen. „Ich wollte schon immer etwas mit Strahlen machen“, sagt sie. „Für die Strahlentherapie habe ich mich entschieden, weil wir viel Zeit für die Gespräche mit den Patient*innen haben und die Aufgabe technisch aufwändig ist.“
Neuheit in der Strahlentherapie: ein hochmoderner Linearbeschleuniger
Sanne Blinde schildert, dass mit den neuen Möglichkeiten des Geräts zum Beispiel deutliche Verbesserungen für Brustkrebspatientinnen verbunden sind. „Beim linksseitigen Mammakarzinom müssen Patientinnen eine spezielle Atemtechnik anwenden, um während der Bestrahlung das Herz zu schonen. Durch den Oberflächenscan des neuen Gerätes können sie diesen Vorgang nun selbst steuern, was eine deutliche Erleichterung mit sich bringt“, sagt die Fachärztin.
„Diese oberflächengesteuerte Bestrahlung möchten wir ab 2024 auch für Patient*innen mit zum Beispiel Lungenkrebs, die wir stereotaktisch bestrahlen, anwenden. Um eine solche Technik als Praxis anbieten zu können, braucht es nicht nur die technischen, sondern auch die bürokratischen Voraussetzungen. Auch an diesen Aufgaben hat Sanne Blinde Interesse und daher den Management-Qualifizierungskurs der GNH für Oberärzt*innen besucht. Darin hat sie als Projekt die Implementierung der Leberstereotaxie umgesetzt.
Besondere Erfolgs- oder Glücksmomente – gibt es die?
Viele Patient*innen kommen mit schweren Diagnosen in die Strahlentherapie des MVZ Gesundheit Nordhessen. „Wir behandeln vereinzelt auch Menschen mit gutartigen Erkrankungen, aber die meisten unserer Patient*innen haben Krebs“, sagt Sanne Blinde. Unter ihren Patient*innen sind hin und wieder solche, deren Verlauf besonders positiv ist. Im Gedächtnis geblieben ist ihr der Fall einer älteren Dame. Sie hatte einen Tumor in der Luftröhre, der nicht operiert werden konnte.
„Sie hatte Atemnot und natürlich Angst. Wir haben den Fall in der Tumorkonferenz besprochen und uns entschieden, die Bestrahlung anzubieten“, erinnert sich Sanne Blinde. In ihrer Berechnung musste sie in enger Absprache mit den Kolleg*innen und der Patientin bis ans Äußerste gehen. Und sie hatten Erfolg. „Heute ist die Patientin tumorfrei“, freut sich die Ärztin zu berichten.