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Klar und deutlich

Wie sehr die Schwerhörigkeit zur Isolation führen kann, haben Peter Röser und Doris Pfeffer selbst erlebt. Bis ein Cochlea-Implantat ihrem Leben völlig neue Perspektiven eröffnet hat.

Unter den Studenten der Universität Kassel ist Peter Röser (32) einer von vielen. Jemand, der nicht weiter auffällt. Was für die meisten ein despektierliches Urteil wäre, ist für ihn ein Erfolg. Denn eine unbefangene Unterhaltung oder einer Vorlesung entspannt zu folgen – das war bis vor ein paar Jahren kaum möglich. Peter Röser hört schlecht, so schlecht, dass ein Gespräch mit ihm kaum möglich war. Und genau das gab am Ende auch den Ausschlag. 

Ein Freund stellt ihn irgendwann vor die Wahl: Entweder er lässt sich im Klinikum Kassel untersuchen, oder die Freundschaft hat ein absehbares Ende. Röser trägt zu diesem Zeitpunkt privat angeschaffte Hörgeräte, die „teuer waren und kaum halfen“, wie er heute sagt. Mit 13 Jahren wird sein Gehör schlecht, mit 18 Jahren ist er schon auf Hörgeräte angewiesen. Während seiner Ausbildung zum Physiotherapeuten kommt er „noch so zurecht.“

Peter Röser wird also in der Klinik für Hals-Nasen-Ohrenheilkunde am Klinikum Kassel vorstellig. Die ersten Tests bringen ein eindeutiges Ergebnis: noch 1% Hörvermögen mit jedem Ohr. „Man sagte mir, dass es nicht mehr lange dauern würde, bis ich taub sei. Mit Ende Zwanzig“, sagt Röser. Der Ernüchterung folgt schnell ein Gespräch mit der Klinikdirektorin Professorin Ulrike Bockmühl, die eine Alternative zu bieten hat:

Das Cochlea-Implantat, abgekürzt CI.

Es ist eine elektronische Innenohrprothese, die ertaubten oder hochgradig schwerhörigen Menschen eine deutliche Verbesserung ihres Hörvermögens möglich macht. Im Gegensatz zu herkömmlichen Hörgeräten, die den Schall von außen verstärken, übernimmt ein CI die Funktion der Hörschnecke (Cochlea). Das CI besteht aus zwei Elementen: das unter der Haut sitzende Implantat und dem außen getragenen Sprachprozessor, der wie ein herkömmliches Hörgerät hinter dem Ohr getragen wird. Voraussetzung für diese Behandlungsmethode ist ein funktionierender Hörnerv.

Im Abstand von gut sechs Monaten bekommt Peter Röser 2016 jeweils ein CI implantiert. Die Operationen gehören zu den Routineeingriffen an der Klinik für Hals-Nasen-Ohrenheilkunde und werden komplett von der Krankenkasse übernommen. Als der Audiologe Dr. Guido Reetz vier Wochen nach der OP zum ersten Mal den Sprachprozessor aktiviert, ist Röser in einer anderen Welt. Allerdings in einer, die alles andere als angenehm klingt.

»Am Anfang war es so, als würde ich permanent in einer Bahnhofshalle stehen«,

sagt Röser. „Von überall kamen Geräusche, die nur schwer einzuordnen waren.“ Blechern, mechanisch, „eigentlich nur ein Brei aus Geräuschen“ – so beschreibt er das Gehörte. Zum ersten Mal stimmt der Heavy-Metal Fan mit seiner Mutter überein, dass die Gruppe Iron Maiden eigentlich „nur Krach“ produziere. „Der Sound einer E-Gitarre war furchtbar“, sagt Röser und muss lachen. Er hatte de facto das Hören verlernt. 

Mit CI klingt Sprache wie ein fremder Dialekt. In der folgenden Hörtherapie bei einer Logopädin trainiert man das Verstehen. Und hier ist engagierte Mitarbeit gefragt. „Das Implantieren des CI, also der operative Eingriff, ist der kleinste Teil der Behandlung“, sagt Professorin Ulrike Bochmühl. „Der Wille des Patienten, wieder hören zu lernen, ist dann entscheidend.“ 

»ICH WÜNSCHTE DIE ENTSCHEIDUNG FÜR EIN CI FRÜHER GETROFFEN ZU HABEN.«

Doris Pfeffer muss schmunzeln, als sie dieses Zitat hört. Die 69-jährige Opernliebhaberin hat vor etwa einem halben Jahr ein CI erhalten. „Es war ein langer, manchmal dorniger Weg, der auch noch nicht abgeschlossen ist. Aber ich ziehe jetzt schon eine absolut positive Bilanz“, sagt Pfeffer. 

»Meine Lebensqualität hat sich immens verbessert.«

Doris Pfeffer merkt in den letzten Jahren, dass sie nicht mehr wirklich am Leben teilnimmt. Verabredungen zum Essen vermeidet sie, da sie in der Geräuschkulisse eines Restaurants nichts mehr versteht. „Man sitzt verloren in einer Gruppe Menschen, die sich angeregt unterhält“, sagt Pfeffer. Auch Konzertbesuche gehören der Vergangenheit an. Und selbst zu Hause telefonieren ist nicht mehr möglich. Um mit ihren Söhnen zu kommunizieren, muss sie kurze Textnachrichten über ihr Handy verschicken. Wie Peter Röser schlägt sie sich jahrelang mit teuren Hörgeräten herum, die am Ende nicht weiterhelfen.

»Es ist ein schleichender Prozess, bei dem man am Ende wie isoliert scheint«,

sagt Pfeffer. 2019 ist es dann so schlimm, dass sie Kontakt mit der Hals-Nasen-Ohrenklinik am Klinikum Kassel aufnimmt. Da ihr Hörnerv noch intakt ist, kommt sie für eine Behandlung infrage. Doch Doris Pfeffer zögert. „Soll ich mir das alles in meinem Alter noch antun?“, fragt sie Professorin Ulrike Bockmühl, die mit einer Gegenfrage antwortet: „Sie wollen also in der Ecke sitzen und nicht mehr am Leben teilnehmen?“

„Das war der Schubs, den ich gebraucht habe“, sagt Doris Pfeffer. „Dieser Satz hat den Ausschlag gegeben.“ Dinge, die früher selbstverständlich waren, kehren während der Hörtherapie langsam in ihr Leben zurück. Ende November 2019 führt sie ihr erstes Telefongespräch seit Jahren. „Das war ein unglaubliches Erlebnis, ich kann das kaum beschreiben.“ Kürzlich, auf Reisen, versteht sie die Lautsprecherdurchsage in der lauten Bahnhofshalle. Auch die Gespräche der Mitreisenden im Abteil kann sie verfolgen. 

Doris Pfeffer verschweigt nicht, dass es bis dahin ein kontinuierlicher Lernprozess mit einigen Rückschlägen war. „Man muss sich an den Fortschritten festhalten und nicht aufgeben“, sagt Pfeffer, die auch einer CI-Selbsthilfegruppe beigetreten ist. 

 

Obwohl mehr als dreißig Jahre zwischen Peter Röser und Doris Pfeffer liegen, machen beide die gleichen Erfahrungen. Das Leben mit einem Cochlea-Implantat, ob an der Universität oder im Ruhestand, eröffnet völlig neue Perspektiven. „Ich wünschte die Entscheidung für ein CI früher getroffen zu haben. Da sind ein paar wertvolle Jahre verloren gegangen. Und viel Geld für Hörgeräte“, sagt Doris Pfeiffer. Auch Peter Röser rät zu einem Termin in der Hals-Nasen-Ohrenklinik: „Nicht warten. Die Untersuchung kann alles verändern.“

Sie haben Fragen zur Schwerhörigkeit oder speziell zu einem Cochlea-Implantat?

Bitte vereinbaren Sie einen Termin unter folgender Nummer:

Tel.: 0561 980-4053
Sandra Latocha
Sekretariat HNO-Klinik