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Wieder im Leben

Nach einem Schlaganfall wird Robert Moos ins Klinikum Kassel eingeliefert und überlebt dank professioneller Behandlung. Heute lebt er bewusster und arbeitet weniger.

Man sieht Robert Moos nicht an, dass er vor ein paar Jahren um sein Leben kämpfte. Der 55-Jährige ist groß, schlank und verbringt viel Zeit unter freiem Himmel. Wie zum Beweis liegt die zweijährige Hündin Amber neben ihm. „Mein Leben wäre deutlich leerer ohne sie“, sagt Moos und streichelt die Belgische Schäferhündin. An diesem Morgen waren beide schon eine Stunde im Wald unterwegs.

Als Moos vom März 2014 erzählt, werden seine Züge ernster. „Ich wurde um 3.20 Uhr mit starken Schmerzen in der linken Wade wach, wollte meine Frau aber nicht wecken. Auf dem Weg ins Bad fühlte es sich an, als hätte ich eine Explosion im Kopf“, sagt Robert Moos. Er bricht zusammen, kann nicht mehr sprechen, ist rechtsseitig gelähmt, jedoch bei vollem Bewusstsein. „Ich habe ganz klar mitbekommen, wie meine Vitalfunktionen wegsacken.“

Im Rettungswagen auf dem Weg ins Klinikum Kassel versucht er mit aller Kraft zu sprechen, doch sein Körper gehorcht ihm nicht. „Es waren schlimme Minuten, doch der Notarzt gab mir das Gefühl, dass er meine Lage versteht“, sagt Moos. In der Notaufnahme wird er direkt nach der Ankunft im Schockraum zum Computertomographen (CT) gebracht, der nur einen Raum weiter steht. „Der Notarzt blieb die ganze Zeit bei mir“, erzählt Moos. „Er sagte, dass er ein gutes Gefühl habe, alles würde gut werden. Wenn man da liegt, nicht sprechen kann und halbseitig gelähmt ist, dann möchte man genau so etwas hören.“

Nur 54 Minuten nach dem Notruf wird Robert Moos auf die Stroke-Unit verlegt, eine speziell auf Schlaganfälle ausgerichtete Station der Klinik für Neurologie. „Am Tag darauf stand schon ein Logopäde am Bett und machte Sprachübungen mit mir“, erzählt Robert Moos, der sich auch noch gut an den Ergotherapeuten erinnert. „Ich werde ihm nie vergessen, dass er mit mir auf Toilette ging und anschließend beim Duschen half.“

Professor Dr. Julian Bösel leitet seit September 2017 die Klinik für Neurologie und kennt Robert Moos nur aus Schilderungen. Doch dessen Erinnerungen bestätigen Bösels langjährige Wahrnehmungen. „Die guten Pflegekräfte und das Therapeutenteam machen sehr viel für die Patienten aus, sie machen das Paket der Schlaganfall-Spezialbehandlung erst rund“, sagt Bösel. „Denn mit ihnen hat der Patient am meisten Kontakt.“ Als Chefarzt sieht er jeden Patienten mindestens einmal wöchentlich bei der Visite. Bösel spricht die Menschen direkt an und hat keine Scheu vor Berührungen.

Meist prüft er körperliche Reaktionen und testet den Verlauf neurologischerDefizite, mal hebt er die Sauerstoffmaske an, um den Patienten besser zu verstehen. Manchmal hält er aber auch nur die Hand. Wie bei einer Patientin auf der Intensivstation, die durch mehrere Schlaganfälle erblindet ist. „Trotz der Apparatemedizin sind der persönliche Kontakt, das Anfassen und Kommunizieren von großer Bedeutung“, sagt Bösel.

»Wir sind immer nah am Patienten dran.«

„In der Neurologie spielt die klinische Untersuchung im Verlauf eine große Rolle,“ betont Bösel. Er verschweigt nicht, dass es Krankheitsmuster gibt, bei denen die Medizin an Grenzen stößt. „Umso wichtiger ist es, dass wir alles aufbieten, um die ganz individuelle Situation der Menschen zu verbessern“, sagt er. Dafür hält das Klinikum Kassel 24 Stunden täglich eine auf Schlaganfälle spezialisierte Logistik vor: Eine überregional zertifizierte Stroke-Unit und Neurointensivstation, Neurochirurgie und Neuroradiologie sind vereint im Neurovaskulären Zentrum. Darüber hinaus besteht von Kassel aus die telemedizinische Koordination von einem Dutzend Kliniken in drei Bundesländern.

Dr. Ralf Siekmann gehört zu diesem Netzwerk am Klinikum Kassel. Seit über zehn Jahren leitet er dort das Institut für Neuroradiologie. Kurz vor Mittag klingelt sein schnurloses Telefon. Eine 65-jährige Patientin wurde mit dem Notarzt eingeliefert, ihr Schlaganfall ist eine knappe Stunde her. Erste Untersuchungen ergaben, dass eine Ader im Gehirn verstopft ist und die Durchblutung verhindert. Hält dieser Zustand an, wird die Frau bleibende Schäden davontragen, vielleicht auch mehr.

Es kommt jetzt auf jede Minute an – und die Expertise von Ralf Siekmann.

Der Chefarzt der Neuroradiologie wird einen Katheter auf Höhe der Leiste in die Blutbahn einführen und bis in das verstopfte Gefäß vordringen. Eine abstrakte Prozedur, deren Fortgang nur auf einem Flachbildschirm verfolgt werden kann. Feines Handwerk also, absolviert unter erheblichem Zeitdruck. Es ist Siekmanns medizinische Kernkompetenz.

Auf den ersten Blick würde man ihm diese Arbeit nicht zuordnen. In einer Handballmannschaft wäre Ralf Siekmann ohne Frage der Kreisläufer. Obwohl ihm der Zeitfaktor ständig im Nacken sitzt, lässt er sich nicht aus der Ruhe
bringen. Und so steht Siekmann auch mit breitem Rücken am Operationstisch, seine Bewegungen sind filigran. Die Augen auf den Monitor gerichtet, schiebt er zügig den Katheter durch die Adern und verfolgt dessen Weg zur verstopften Stelle im Gehirn. Sein Team arbeitet ihm routiniert zu, von Hektik keine Spur. Siekmann betont mehrfach, wie gut die Zusammenarbeit mit den Anästhesisten sei, „ohne die wir hier nichts ausrichten könnten“.

Später besteht er noch auf einem Gruppenfoto mit seinen Ärzten. Medizin ist keine Einzelsportart.

Nach 20 Minuten ist der Katheter am Ziel und Siekmann saugt vorsichtig das verstopfende Material aus dem Blutgefäß. Sofort ist eine Veränderung auf dem Monitor zu erkennen, die Durchblutung funktioniert wieder und das Gehirn wird mit Sauerstoff versorgt. Thrombektomie ist der medizinische Fachausdruck für das, was gerade geschehen ist. Was so einfach aussieht, beruht auf Siekmanns 18-jähriger Erfahrung im „Katheterschieben“. In ganz Nordhessen werden Thrombektomien nur von der Neuroradiologie am Klinikum Kassel praktiziert, die dafür speziell zertifiziert ist. Und so retten Siekmann und sein Team während der Mittagspause mal eben das Leben der Patientin.

Robert Moos ordnete nach dem überstandenen Schlaganfall sein Leben neu. Er kündigte seine Arbeitsstelle und machte sich mit Anfang fünfzig selbstständig. „Ich musste erst begreifen, dass Gesundheit wichtiger ist als Geld“, sagt Moos, der heute mit straffällig gewordenen Heranwachsenden arbeitet. Zwar verfüge er über weniger finanzielle Mittel als zuvor, habe aber deutlich mehr Zeit. „Ich mache nur noch das, was ich mag“, sagt Moos.

Die Diagnose Schlaganfall kann lebensbedrohlich sein:

Die Klinik für Neurologie ist als überregionales Schlaganfallzentrum zertifiziert und behandelt im Jahr ca. 2.000 Schlaganfallpatienten. Im Klinikum Kassel stehen für die schnellst- und bestmögliche Behandlung dieses Notfalls die Neurologie, die Neuroradiologie, die Neurochirurgie und die Gefäßchirurgie 24 Stunden an 365 Tagen bereit.

HERZSTILLSTAND

Wenn es um einen Herz-Kreislauf-Stillstand geht, ist Dr. Klaus Weber im Thema. Er leitet die Zentrale Notaufnahme am Klinikum Kassel, die zahlenmäßig größte Einrichtung ihrer Art in Hessen. Mit der Notaufnahme und weiteren sechs medizinischen Disziplinen gründet sich jetzt das Kassel Center for Cardiac Arrest (KCCA). Dabei geht es speziell um Patienten, die vor ihrer Einlieferung in die Notaufnahme reanimiert wurden. „Neben der schnellen Wiederbelebung vor Ort ist die spezielle Weiterbehandlung entscheidend für die Überlebenschancen des Patienten“, sagt Dr. Weber. „Als Maximalversorger bieten wir in Nordhessen und darüber hinaus weit mehr als den Standard.“

Die Basis für das KCCA bilden neben der Notaufnahme die Kliniken für Neurologie, Anästhesiologie, Intensivmedizin, Notfall- und Schmerztherapie und die Kardiologie. „Bundesweit sind wir derzeit die einzige Klinik mit einem so umfassenden Spektrum an medizinischen Fachrichtungen in der Versorgung wiederbelebter Menschen“, sagt Dr. Klaus Weber.