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Über Schwerhörigkeit, Gehörlosigkeit und das Leben mit Cochlea-Implantat

Hier können Sie die Folge des HNA-Medizin-Podcasts "Ihre Gesundheit im Fokus" auf Spotify anhören:

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Die Folge zum Nachlesen

St. Reitze
Herzlich willkommen bei „Ihre Gesundheit im Fokus“, dem Medizin-Podcast der HNA. Heute sprechen wir über ein Thema, das wie kein zweites zu einem Podcast passt, nämlich das Hören. Am 3. März 2022 ist es wieder so weit: der Welttag des Hörens ruft zur Prävention und Versorgung von Hörminderungen auf. Bei uns zu Gast sind heute: Frau Prof. Dr. Ulrike Bockmühl, Klinikdirektorin der Klinik für Hals-, Nasen- und Ohrenheilkunde am Klinikum Kassel, sowie Dr. Guido Reetz, Chef-Audiologe am Klinikum Kassel und Frau Leinwarte, die seit wenigen Monaten Trägerin eines Cochlea-Implantates ist. 

Frau Dr. Bockmühl, Sie behandeln seit vielen Jahren Menschen mit Hörverlust. Was können sie uns über die Behandlungsmethoden und deren Entwicklung berichten. Und, was mich auch interessieren würde, warum ist es so wichtig, die Schwerhörigkeit so früh wie möglich und bestmöglich zu versorgen?

U. Bockmühl
Schönen Guten Tag, es freut mich, dass ich hier ein bisschen über unsere Arbeit und auch über unsere Möglichkeiten Schwerhörigkeiten zu rehabilitieren oder zu beseitigen, berichten darf. Es gibt in Deutschland circa 10 Millionen Menschen, die an einer Schwerhörigkeit leiden. Davon haben ungefähr 5 Millionen Menschen, oder sind 5 Millionen Menschen mit einem Hörsystem, zum Beispiel mit einem Hörgerät, versorgt. Es gibt auch schon zwischen 50-55.000 Menschen, die ein Cochlea-Implantat tragen. 

Warum ist es wichtig, Schwerhörigkeit so früh wie möglich zu versorgen?  Menschen, die an einer Schwerhörigkeit leiden, können in soziale Isolation kommen, was wiederum zu einer Depression führen kann und auch dementielle Erkrankungen fördern kann. Kinder, die beispielsweise taub geboren wurden, können ja normalerweise keine Sprachentwicklung vollziehen. In solchen Fällen hilft natürlich die einzige Prothese eines Sinnesorgans – und das ist das Cochlea-Implantat, wenn man das so will – hilft solchen taub geborenen Kindern in die Welt der Hörenden integriert zu werden. Deshalb ist das eine der wichtigsten Entwicklungen in den letzten 30 Jahren. Aber auch Kinder, die im Kleinkind-Alter Erkrankungen haben wie z.B. Polypen, die dazu führen, dass man einen Mittelohr-Erguss hat, wodurch man schlecht hört, -- auch diese Kinder können, wenn sie über das Mittelohr schlecht hören, keine Sprachentwicklung vollziehen. Deshalb ist es so wichtig, Schwerhörigkeiten so früh wie möglich zu versorgen. Macht man das nicht gibt es Statistiken und Studien, die sagen, dass es jährliche Kosten einer unversorgten Schwerhörigkeit in Höhe von ca. 39 Milliarden Euro gibt. Das heißt also, aufgrund der geminderten Lebensqualität und Produktivität, die diese Menschen haben, letztlich aufgrund ihrer Schwerhörigkeit. Deshalb ist das ein weiterer Grund, die Schwerhörigkeit so schnell wie möglich zu rehabilitieren.

St. Reitze
Frau Prof. Bockmühl, gibt es denn verschiedene Arten von Schwerhörigkeit und wie kann man diese denn behandeln?

U. Bockmühl
Ja, es gibt verschiedene Arten von Schwerhörigkeiten. Sie können sich vorstellen, es gibt das Ohr: sie sehen die Ohrmuschel und den Eingang zum äußeren Gehörgang und von dort sieht man am Ende das Trommelfell. Danach kommt das Mittelohr, dann das Innenohr und schließlich der Hörnerv. So ungefähr ist das Ohr aufgebaut. Dementsprechend können auch verschiedene Ursachen zu einer Schwerhörigkeit führen. Es können Ursachen sein, die bereits im äußeren Gehörgang, im Bereich des Mittelohres oder Innenohres, im Bereich des Hörnervs oder des Gehirns lokalisiert sind. Viele Hörerkrankungen kann man operativ behandeln. Es gibt Erkrankungen, die sich im Bereich des äußeren Gehörgangs befinden oder im Bereich des Mittelohres, die man mit einer hörverbessernden Operation verbessern kann. Das kann z. B. sein, dass Gehörknöchelchen verknöchert sind, das kann sein, dass Gehörknöchelchen durcheinander gerutscht sind bei einem Trauma, wie einem Unfall. Es kann ein Loch im Trommelfell sein, das man reparieren kann, es kann Flüssigkeit sein, die sich im Bereich des Mittelohres befindet, die man herausbringen kann. Chronische Entzündungen, die man reparieren kann und dadurch das Hörvermögen wieder herstellen kann. Das sind alles Erkrankungen des Äußeren und des Mittelohres, die man gut reparieren kann. 

Erkrankungen des Innenohres, das heißt der Hörschnecke und der Zellen oder auch des Hörnerven lassen sich so einfach nicht behandeln. Wenn die Hörzellen im Bereich der Hörschnecke ausfallen, haben wir inzwischen die Möglichkeit, eine Hörprothese einzusetzen, ein sogenanntes Cochlea-Implantat. Das heißt, die Prothese des Sinnesorgans Hörschnecke. Befinden sich Schäden im Bereich des Hörnerven geht dies nicht, dann ist es eine nervale Schwerhörigkeit, die sich nicht operativ und auch nicht apparativ, mit technischen Lösungen, rehabilitieren lässt. 

St. Reitze
Jeder von uns hat ja in seiner Familie oder im Freundeskreis einen Hörgeräte-Träger. Wann wird denn ein Hörgerät empfohlen? Also wann müsste ich vielleicht auch jemanden darauf hinweisen: „Lass Dich doch lieber mal untersuchen, Du hörst schwer.“

U. Bockmühl
Nicht jede Erkrankung im Bereich der Hörzellen bedeutet, dass derjenige dann auch gleich taub ist. 

Es gibt Erkrankungen, zum Beispiel die Alters-Schwerhörigkeit, wo man langsam mit zunehmendem Alter bestimmte Kompetenzen der Hörzellen verliert. Und sich dann eine Schwerhörigkeit einstellt. Das merkt man als erstes daran, dass die Diskrimination leidet. Das heißt, wenn ich im Gespräch mit mehreren Menschen bin, kann ich nicht mehr allen Beteiligten adäquat folgen. Aus so einer Schwerhörigkeit aber kann sich auch eine Ertaubung entwickeln. Genauso kann es zum Beispiel auch zu einem Hörsturz kommen, wo eine Ertaubung ganz plötzlich eintritt. Bei Patienten, die an einer langsam fortschreitenden Hörminderung leiden, die sich im Bereich der Hörzellen abspielt, kommt zunächst ein Hörgerät als erste Versorgung in Frage. Wenn dann die Schwerhörigkeit immer schlimmer wird, muss man neu überlegen und schauen, ob vielleicht eine technische Hörhilfe wie ein Cochlea-Implantat die bessere Lösung ist.

St. Reitze
Vielen Dank für diese Infos Frau. Prof. Bockmühl. Als nächstes möchten wir mit einer Ihrer Patientinnen sprechen, die als Betroffene aus erster Hand von ihren Erfahrungen berichten kann. Frau Christina Leinwather ist 55 Jahre alt, trägt seit ihrem 4. Lebensjahr zwei Hörgeräte und hat sich vor wenigen Monaten entschieden, etwas Neues zu wagen. Sie hat sich an ihrem rechten Ohr ein CI einsetzen lassen. 

Frau Leinwather ich finde es super, dass sie heute hier sind und unseren Hörern einen Einblick in ihren Alltag erlauben. Welche Rolle spielt denn das Hören in ihrem Leben?

C. Leinwather
Ich freue mich, dass ich dabei sein kann. Das Hören spielt bei mir eine sehr große Rolle. Wie schon eingangs erwähnt, seit frühester Kindheit trage ich Hörgeräte. Auch schon sehr lange in der stärksten Ausführung, die es gibt. und bei mir wurde beidseitige an Taubheit grenzende Innenohr-Schwerhörigkeit festgestellt, die auch schleichend schlechter wird. 

St. Reitze
In welchen Bereichen waren sie besonders eingeschränkt durch Ihre Schwerhörigkeit?

C. Leiwather
Das ist schwierig zu erläutern. Da ich schon immer Hörgeräte hatte, bin ich mit Hörgeräten groß geworden und habe mein Leben darauf eingestellt. Auch immer gut zurecht gekommen. Und man entwickelt Strategien, damit man so gut wie möglich mitreden kann, so viel wie möglich hört und in Verbindung mit dem Mundbild eigentlich kaum Einschränkungen hat. Ich bin damit groß geworden und auch immer gut zurecht gekommen. Jetzt zum Ende hin ist es natürlich schwieriger geworden, weil das Hören an sich schlechter geworden ist.

St. Reitze
Das wäre meine nächste Frage gewesen: durch was ist der Prozess in Gang gekommen, sich mit einem Cochlea-Implantat zu beschäftigen? Wie sind sie auf die Idee gekommen, was hat sie dazu bewogen, sich mit diesem Thema auseinander zu setzen? 

C. Leiwather
Also der Prozess ist recht langwierig. Damit auseinandergesetzt habe ich mich schon länger – über Jahre. Das ist immer so eine Sache. Ich sage es mal so: Was ich höre, weiß ich. Was ich verstehe ist eine andere Sache – aber wenn ich operativ was ändere , ist es wirklich gut. Und das ist ein Schritt, den man ja auch nicht mehr rückgängig machen kann. Auseinander setzen kann man sich eigentlich in dem Sinnen nur, in dem man sich schlau mach, was bewirkt ein CI. Natürlich hört man in dem Moment die schlechten Sachen eher raus, als die guten. Verstärkt durch Corona und dadurch, dass man Maske tragen muss, ist natürlich das Mundbild verschwunden und in dem Fall wirkt es sich massiv aus auf das, was man versteht. In meinem Fall: nix mehr.

St. Reitze
Stimmt, da macht man sich gar keine Gedanken drüber als Nicht-Höreingeschränkter, was das bedeutet. Sie haben plötzlich nur noch Menschen vor sich , bei denen Sie nichts am Mund ablesen können. Was hat sich jetzt für Sie verändert, seit sie das CI haben? Für mich ist spannend: Hören Sie jetzt die Vögel deutlicher singen, hören Sie die Autos lauter? Was hat sich für Sie verändert?

C. Leiwather
Ja, es hat sich viel verändert. Ich muss sagen, im Nachhinein, zum Guten. Ich bereue den Schritt keinesfalls. Möchte aber auch die Zeit wo ich Hörgeräte getragen habe nicht missen. Jetzt im Nachhinein mit CI ist es schon gut. Durch die lange Lebenserfahrung und Hörerfahrung habe ich viele Geräusche schon gehört, wie Sie schon sagten, Vögel zwitschern oder so. Im Nachhinein ist halt bekannt, dadurch das die hohen Töne weg sind, habe ich sie halt dumpf gehört – aber ich habe sie schon gehört. 

Mit den CI muss man sagen sind die hohen Töne alle wieder da und dadurch ergeben sich natürlich neue Geräusche. Ist ein sehr spannendes Kapitel, selbst die eigene Stimme. Es ist erstmal alles Neu – ich selber, die Familie. Die Alltagsgeräusche will ich erstmal hinten anstellen. Natürlich gibt es viele Geräusche, die sind da anders, variieren ein bisschen. Aber für mich selber ist erstmal wichtig, wie ich mich selber, mein Mann, die Kinder – alles hört sich neu an. Und was bei mir natürlich noch eine große Rolle spielt ist die Musik. Das ist eigentlich ein extra-Kapitel, das auch einen ganz anderen Anspruch an mich nimmt, als die Umgangssprache.

St. Reitze
Erzählen Sie unseren Hörern doch mal was zum Thema Musik. Was für ein Instrument spielen Sie? Wie lange schon? Wie wichtig ist das für Sie in ihrem Leben.

C. Leiwather
Seit meinem 10. Lebensjahr spiele ich Klavier und Posaune. Etwas später dann auch Orgel. Bin mittlerweile auch Chorleiterin unseres Posaunenchors. Wie sie merken ist Musik schon ein sehr dominantes Kapitel – und das war heftig. Weil Musik war nicht mehr Musik. Und das war auch ein Schritt der dazu bewogen hat, skeptisch zu sein, jetzt ein Implantat einsetzen zu lassen, weil – kann ich’s wirklich dann noch ausüben. Weil man hört ja auch von anderen „Jaja, ein Instrument is immer gut, das geht noch. sobald ein Orchester zusammenkommt oder zwei, drei Stimmen ist es katastrophal. Also ich kann für mich sagen, ich habe es jetzt sechs Monate, Klavier geht ganz gut. Orgel kommt ein bisschen drauf an, könnte noch ein bisschen besser werden. Posaune kommt jetzt wieder rein. Das hat natürlich noch einen anderen Effekt, weil Musik machen, Blasen, das darf ich ja dann eine ganze Weile nicht. Das spiele ich jetzt erst wieder seit zwei, drei Monaten. Es ist alles ein bisschen ein Hinführen, noch.

St. Reitze
wie kann ich mir das jetzt vorstellen, üben sie das Hören mit jemandem? Oder haben sie da aufgaben, die sie jeden Tag zu Hause machen müssen. bestimmte Übungen... Was bedeutet das? Sie haben jetzt das Implantat, ist damit alles Friede, Freude, Eierkuchen oder was müssen Sie jetzt noch tun, damit es noch besser wird für sie.

C. Leiwather
Also sagen wir mal so, Friede, Freude Eierkuchen ist es definitiv nicht. Es gibt ja erstmal noch eine Wartephase, aber sobald der Prozessor eingeschaltet und aktiviert ist, und man Töne aufnehmen kann, wird fast zeitgleich der Logopäde mit eingeplant – ohne den wäre ich auch noch nicht so weit, wie ich jetzt bin. Man hat die Möglichkeit, eine ambulante oder eine stationäre Reha zu machen. Ich habe mich bewusst für eine ambulante Reha entschieden, weil ich mir denke, wenn gerade anfange und soll dann in eine Einrichtung, um Hören zu lernen, und weiß gar nicht was alles auf mich zukommt und wohin mit dem ganzen Input. Ich habe mich bewusst für eine ambulante Reha entschieden, weil ich auch denke, der Alltag ist der beste Trainer. Da kommen die Geräusche, da kommt die Vielseitigkeit. Da kann ich auch sagen: Stopp, bis hierhin, Prozessor raus, ich hab meine Ruhe. Jetzt mach ich nix mehr.

St. Reitze
Ach, den kann man auch abstellen?

C. Leiwather
Ja, wenn ich ihn abziehe, bin ich taub. Dann hör ich nix mehr, dann ist Funkstille. 

Es ist sehr viel Arbeit. Es ist erstmal Arbeit überhaupt irgendwas zu hören. Dann kommen Wörter, Sätze. Es gibt ein Übungsprogramm wo bestimmte Punkte abgearbeitet werden, wie so ein Übungsheft kann man sich das vorstellen, wo die Lektionen gelernt werden. Wo man wiederholen kann, Fortschritte machen kann – wie halt so ein Übungsheft aufgebaut ist. Das geht ganz gut. Da bin ich auch durch, bis auf ein paar einzelne Sachen. 

St. Reitze
Wie sind denn jetzt Ihre Pläne? Sie haben jetzt das rechte Ohr mit dem CI versorgt, das linke Ohr hat noch das Hörgerät. Wie soll es da weitergehen? Sind Sie so mutig den Schritt zu wagen auch links die Versorgung mit dem Implantat durchführen zu lassen?

C. Leiwather
Ich habe bewusst das rechte Ohr genommen, weil es das Schlechtere ist. Das linke Ohr ist immer mein gutes Ohr gewesen. Die sechs habe ich bei Musik immer, ansonsten ab und zu mal, zum ende hin immer weniger das Hörgerät noch getragen, weil es halt so ein bisschen das Hören abrundet und Sicherheit gibt. Mittlerweile habe ich festgestellt, dass das Hören mit dem linken Ohr sehr schlecht geworden ist und habe mir überlegt was ich jetzt mache. Da ich aber von dem rechten Ohr angenehm und positiv überrascht bin, sag ich mir: Ja, ich mache das linke auch. Das nehme ich nächste Woche in Angriff.

St. Reitze
Ach, der Termin steht schon? Alles klar. Dann wünschen wir Ihnen alles, alles Gute. Das das genauso läuft, wie sie sich das wünschen, dass sie weiterhin Ihrer Musikleidenschaft nachgehen können, weil das ist glaube ich das Wichtigste, dass Sie Lebensqualität zurückbekommen, dass sie Lebensqualität haben, das sie die erhalten und dass sie das was Ihnen Freude macht, machen können. vielen, vielen Dank dass sie uns einen Einblick in Ihr Leben und ihren Alltag erlaubt haben. Und alles Gute für Sie. 

Herr Dr. Reetz, sie sind Audiologe am Klinikum Kassel, erklären sie unseren Hörern doch bitte mal, was macht ein Audiologe?

G. Reetz
Ein Audiologe beschäftigt sich mit dem Hören, mit den verschiedenen Arten des Hörverlustes und schwerpunktmäßig mit der apparativen Versorgung zum Ausgleich von Hörverlust und natürlich mit den ganzen Untersuchungen, die am Patienten erforderlich sind.

St. Reitze
Herr. Dr. Reetz, Frau Leinwather hat uns sehr authentisch von ihren Erfahrungen berichtet, von der Versorgung mit einem Cochlea-Implantat. Was ist denn daran technisch anders, wie funktioniert das? Wie geht das, das man mit einem Implantat, mit dieser Technik hören kann? Können Sie uns das erklären.

G. Reetz
Um einen Schritt zurückzugehen, nämlich zum Hörgerät, ein Hörgerät unterstützt das funktionierende Ohr, indem es den Schall so anpasst und verstärkt, wie es der Ausfall in der Hörschnecke im Innenohr erforderlich macht, um den Verlust auszugleichen. Das Cochlea-Implantat ersetzt die Funktion des ausgefallenen Innenohres. Im Innenohr ist die Schnecke, die so genannte Cochlea, daher auch der Name des Implantats, und das CI übernimmt die Funktion der ausgefallenen Schnecke. Was macht die Schnecke normalerweise? sie wandelt die Schallwellen um in ein Muster elektrischer Impulse und genau das macht das CI. Es macht das nicht so gut wie ein junges, gesundes Ohr, aber deutlich besser als ein hochgradig schwerhöriges Ohr.

St. Reitze
Wie kann ich mir das vorstellen, der schwerhörige Patient kommt zu Ihnen und wie erfolgt denn dann die Diagnostik? Also wie entscheiden Sie, ob der Patient für eine Versorgung mit einem CI geeignet ist. 

G. Reetz
Es sind eine ganze Reihe Untersuchungen vorher erforderlich. Viele Menschen kennen ja den Hörtest, der also die Hörschwelle bestimmt – ab wo hört man was – und bei uns, wenn die Frage im Raum steht, könnte das jemand sein, dem ein CI helfen könnte, sind ein lange Reihe verschiedener Höruntersuchungen erforderlich, für die wir in der Regel zwei, manchmal auch drei Termine brauchen. Da wird das Sprachverstehen mit und ohne Hörgerät getestet, die Hörschwelle natürlich, dann wird die Innenohrfunktion geprüft, die Funktion des Hörnervs wird geprüft. Es werden radiologische Untersuchungen gemacht, damit der Chirurg auch die Anatomie vorher anschauen kann und es erfolgen drei Beratungsgespräche, einmal aus medizinischer Sicht, einmal aus audiologischer Sicht, das ist dann mehr technik- und Ablauf-bezogen und dann noch ein Gespräch beim Hörtherapeuten, um auch hinsichtlich der Reha sich vorab zu informieren. 

Die Hör-Rehabilitation ist entscheidender Anteil der Therapie. Es ist eigentlich eine Kombination, diese ganze Therapie, aus dem chirurgischen Teil, aus dem audiologischen Teil, d.h. Gerät anpassen und einstellen, und der Hörtherapie, der Patient muss das Hören und Verstehen trainieren.

Herr Dr. Reetz, bitte erklären Sie uns doch nochmal, für wen ist ein solches CI geeignet. Kann das jeder bekommen, der schlecht hört?

Nein. Es ist im Wesentlichen geeignet für zwei Gruppen. Das sind zum einen gehörlos geborene Kinder. Die sollten dann sehr, sehr früh, am besten innerhalb der ersten zwei Lebensjahre implantiert werden. Bei Erwachsenen sind es nur die Erwachsenen, die eine Lautsprache entwickelt haben. Der Grund ist, mit dem CI wird ja nicht das Gehör ersetzt, sondern das Innenohr. Aber das Gehör im Gehirn muss – bei Erwachsenen – schon vorhanden sein. Bei Säuglingen ist es so, es gibt am Anfang des menschlichen Lebens eine sensible Phase innerhalb derer ein Mensch Lautsprache lernen kann. Wenn diese Phase vorbei ist, dann geht das nicht mehr, oder nur noch ganz rudimentär mit großen Schwierigkeiten. Daher, gehörlos geborene Kinder am besten innerhalb des ersten oder der ersten zwei Lebensjahre implantieren, damit die Kinder Lautsprache entwickeln können. 

St. Reitze
Was kann denn der Patient erwarten, wenn er sich das Implantat hat einsetzen lassen, nach der OP. Hört er dann sofort alles wieder oder wie kann ich mir das vorstellen? Ist das ein Prozess

G. Reetz
Naja, es ist eine Prothese und wie bei allen Prothesen müssen Mensch und Technik zusammenspielen. D.h. man muss sich an den Klang gewöhnen und man muss das Sprachverstehen trainieren. Wie lange diese Trainingsphase ist, ist allerdings von Patient zu Patient sehr unterschiedlich. Wenn der Patient bis kurz vor der OP noch gehört hat, dann ist die Trainingsphase in der Regel relativ kurz und der Patient kann nach dem ersten Einschalten des Geräts Sprache in ruhiger Umgebung, deutlich ausgesprochen, verstehen. Schwierigere Situation – Gespräche am Telefon, wechselnde Sprecher, höheres Sprechtempo – geht erst nach einer Weile Training.
Auf der anderen Seite, im Extremfall, wenn man jemanden implantiert, der schon Jahrzehnte lang gehörlos war, dann kann es passieren, dass derjenige am Anfang nur Geräusche wahrnimmt aber am Anfang noch nicht versteht, was diese Geräusche bedeuten und das Sprachverstehen kommt dann innerhalb von Wochen oder Monaten. Aber es bedarf Training. Es hängt also sehr stark von den Voraussetzungen ab, das ist im Wesentlichen die Dauer der Ertaubung, die Ursache der Ertaubung, die Dauer der Erfahrung mit Hörgeräten und wie gut jemand trotz Schwerhörigkeit mit Hörgeräten noch verstanden hat. 

St. Reitze
Frau. Dr. Bockmühl, wir haben von Frau Leinwather erfahren, dass Patienten dieser Operation und Entscheidung für ein CI sehr kritisch gegenüberstehen. Was können Sie dazu aus ihrem Klinik-alltag an Erfahrungen berichten?

U. Bockmühl
Ich weiß das, ich kennen diese Skepsis von vielen Patienten. Insbesondere von jenen, die schon lange schwerhörig waren und die der Meinung sind, das Wichtigste wäre ihr bisschen Restgehör, obwohl es überhaupt nicht mehr geeignet ist, mit Hörgeräten verstärkt zu werden. Die zum großen Teil gar nichts verstehen oder ohne Mundbild überhaupt nicht an einer Unterhaltung teilnehmen können. Ich kann diese Bedenken verstehen. Ich verstehe auch, dass es einem schwerfällt, einer Operation am Kopf, also im Bereich des Ohres, zuzustimmen. Dazu muss ich aber sagen, solche Operationen machen wir hier tagtäglich für viele Erkrankungen. Das CI ist ja nur eine mögliche Operation am Ohr unter vielen anderen – das heißt wir sind da nicht so ganz unerfahren. Und wir machen es uns auf nicht einfach und sagen, ok, sie haben da jetzt eine Schwerhörigkeit, das operieren wir morgen und dann ist alles wieder schön – das machen wir nicht. Es ist ein langer Prozess, den wir mit dem Patienten zusammen durchführen, auf dem wir ihn begleiten. Wo wir ihm auch die Angst nehmen, dass etwas Schlimmes dabei für ihn herauskommt. Wir sind bestrebt, dass für ihn die bestmögliche Versorgung herauskommt – und wenn das ein Hörgerät ist, ist ein Hörgerät, wenn es eine Innenohr-Prothese ist, ist es eine Innenohr-Prothese. Die Frage ist doch: Was möchte der Patient? Wie möchte ich leben? Möchte ich in einer hörenden Umwelt, in meinem hörenden Freundeskreis integriert sein? möchte ich mich mit Menschen treffen? Möchte ich Freude am Leben haben oder möchte ich in der Ecke sitzen und immer überlegen „Was reden die Menschen um mich herum, ich kann das alles einfach nicht nachvollziehen und ich bin skeptisch, was um mich herum passiert.“? diese Entscheidung muss der Patient für sich treffen. Wir helfen ihm dabei, aber letztlich muss er die Entscheidung allein treffen. 

Die Erfahrung, die ich hier in Nordhessen gemacht habe, ich komme ja ursprünglich aus Berlin, ich bin also ein echter Berliner, wa? Und wenn ich Cis in Berlin operiert habe, war das immer so, der Berliner sacht: „Ey, ich bin schwerhörig, kannste mir helfen?“ Und ich sag dann: „Ja, da gibt’s ne Möglichkeit.“, dann sagt der Berliner: „Her damit, det mach ick.“ Der Nordhesse sagt: „Können Sie mir helfen?“ und ich sage dann „Ja, aber dafür müssen wir eine Ohr-Operation machen, dafür müssen wir am Kopf operieren“, dann sagt der Nordhesse: „Um Gottes Willen nein, das kommt überhaupt nicht in Frage. Das geht gar nicht.“

Und da muss ich sagen, das ist etwas, was man sich selbst vorenthält und das ist etwas, was man überwinden muss, denn – das hat Kant einmal sehr schön gesagt – „Wenn man nichts sehen kann, trennt das von den Dingen, wenn man nicht hören kann, trennt das von den Menschen“ und das kann ihnen jeder Schwerhörige und jeder Taube sagen, dass das eine große Wahrheit in sich birgt. Und wir sind bestrebt, Ihnen allen zu helfen, die schwerhörig sind, damit sie wieder integriert werden könne, damit sie ein frohes Leben führen können in unserer Gesellschaft. Und wenn ich dann sehe, wie viele Patienten wir haben, die wieder zurück konnten in ihren Alltag, die wieder Freude hatten in ihrer Familie, mit ihren Enkelkindern, an ihren Hobbies, dann macht einen das glücklich. Und dass das so ist, das wird ihnen auch gleich Frau Leinwather zeigen, weil sie nämlich wieder Musik machen kann und auch wieder Posaune spielen kann – das fliegt also das Ohr nicht weg und das Implantat nicht raus, sondern das funktioniert. Und das ist doch etwas Fantastisches und das ist die Freude, die wir tagtäglich haben, wenn wir Patienten behandeln. 

St. Reitze
Liebe Frau Prof. Bockmühl, liebe Frau Leinwather, lieber Herr Dr. Reetz, vielen Dank für diese spannenden und sehr persönlichen Einblicke. Wir danken Ihnen allen für’s Zuhören. Weitere Infos finden Sie im Internet unter www.gnh.net/hno. Sie können die Experten der HNO-Klinik aber auch gerne per E-Mail an hoerstoerungen(at)gnh.net oder telefonisch unter 0561/9804154 kontaktieren. Wir hoffen, Sie sind beim nächsten Mal wieder dabei, wenn Ihre Gesundheit im Fokus steht. Bis dahin bleiben Sie gesund!

Prof. Dr. med. Ulrike Bockmühl, MA

Chefärztin

Prof. Dr. med. Ulrike Bockmühl, MA

Chefärztin

Klinikdirektorin der Hals-Nasen-Ohrenheilkunde & Leiterin des Kopf-Hals-Tumorzentrums